Fachkräftemangel lösen - Ansätze zur Zukunftsfähigkeit
- Maximilian Immer
- 11. März
- 7 Min. Lesezeit
Wie finden Unternehmen die richtigen Fachkräfte? Zu dieser herausfordernden Suche kommt die aktuell herausfordernde Wirtschaftslage. Es gibt Möglichkeiten, sowohl Fachkräfte zu bekommen und zugleich wirtschaftlicher zu werden - durch eine Kombination aus individuellen und gesellschaftlichen Maßnahmen.

Die Ursachen des Fachkräftemangels
Der Demografische Wandel - eine alternde Gesellschaft und sinkende Geburtenraten. Es sind schlichtweg weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter.
Das Bildungssystem - Es herrscht eine mangelnde Passung zwischen Ausbildung und Arbeitsmarktbedarf. Das System ist zu alt und bereitet die Jugend nicht auf die Herausforderungen des aktuellen Arbeitsmarktes vor.
Der Arbeitsmarkt - Attraktivität von verschiedenen Berufen sinkt, Arbeitsbedingungen werden nicht dem Zeitgeist angepasst, Gehälter sind nicht transparent und werden nicht gleichgestellt angepasst
Die Gesellschaftsspaltung - zwischen den Traditionalisten und jenen, die in Richtung New Work gehen, herrscht eine große Kluft.
Auswirkungen des Fachkräftemangels
Die wirtschaftlichen Folgen - Produktionsausfälle, Wettbewerbsnachteile, Gewinneinbuße, Überlastung, Handlungsfähigkeit, Schließungen
Die gesellschaftlichen Folgen - Belastung des Sozialsystems, soziale Ungleichheit, Stärkung des Patriarchats
Klar ist, wer den Fachkräftemangel nicht lösen kann oder bekämpft, oder einfach gesagt, wer nicht die richtigen Leute bekommt, bekommt dafür mittel- bis langfristig ein riesiges Problem.Was also tun?
Maßnahmen zum Lösen des Fachkräftemangels
Zum Glück gibt es einige Maßnahmen, um das richtige Personal zu finden. Hier sind viele davon aufgelistet und ein paar ausführlicher beschrieben. Sowohl die Auflistung als auch die Ausführungen haben nicht den Anspruch, ein vollumfängliches Bild abzugeben. Dies sind vereinzelte Punkte, die für sich und in Kombination jedoch schon extrem viel Potenzial haben.
Recruiting & Einstellungsverhalten
Nicht nur Männer einstellen
Diversität = Profitsteigerung
Eines der größten Beratungsunternehmen McKinsey machte 2020 eine Untersuchung in 1000 Unternehmen in 15 Ländern, die folgendes herausfand: Unternehmen profitieren finanziell davon, wenn in der Chef*innenetage eine hohe Geschlechtergerechtigkeit herrscht. Und zwar so, dass diese Unternehmen eine 25%ig höhere Wahrscheinlichkeit haben, überdurchschnittlich profutabel zu sein. Sprich: Mehr Frauen in Führungspositionen bringen mehr Profit fürs Unternehmen.
Und es wird spannender, denn “waren im Vorstand besonders viele ethnische und migrantische Gruppen vertreten, stieg die Wahrscheinlichkeit, profitabler als der Durchschnitt zu sein, um 36 Prozent."
Das unterstreichend ist eine erneute Studie der Credit Suisse von 2021 auf Basis der Daten von 3000 Unternehmen wiederholt zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Anteil von Frauen in Entscheidungspositionen signifikant positiv auf den Unternehmenserfolg auswirkt.
Der Management Professor Thomas W. Malone, an einer der führenden Universitäten der Welt, dem MIT (Massachusetts Institute of Technology) ist im Rahmen einer Forschungsarbeit zum Thema “Collective Intelligence” zu einer spannenden Erklärung gekommen: Anders als vielleicht angenommen, bedingt die Intelligenz der Individuen nicht die kollektive Intelligenz der Gruppe. Einfach gesagt: Kluge Teammitglieder sorgen nicht für kluge Teams.Und jetzt wird´s richtig spannend, denn: Es gibt Verknüpfungen zwischen der sozialen Wahrnehmungsfähigkeit, der Verteilung des Redeanteils und dem Anteil an Frauen in Teams. Wieder in einfach: Mehr Frauen in einem Team sorgen für eine höhere kollektive Intelligenz, also einem schlaueren Team. Und schlauere Teams arbeiten besser und das sorgt für bessere Ergebnisse, was wiederum für bessere Klient*innen und damit für mehr Umsatz sorgen.
Aber warum ist das so?
Die Autor*innen der Studie erklären, “dass die kollektive Intelligenz vor allem davon abhängt, wie gut Teammitglieder einander zuhören und Empathie zeigen können. Kritik wird konstruktiv zum Lernen genutzt, und es besteht eine Offenheit für Neues sowie eine Abwesenheit von autokratischen (auf Dominanz basierten) Strukturen. Im Rahmen der Studie zeigte sich auch, dass Frauen im Mittel höhere Werte für soziale Sensitivität erreichen und daher tendenziell auch bessere Zuhörerinnen sind und andere in Diskussionen integrieren, statt sie zu dominieren.”
Jacomo Fritzsche und Daniel Pauw beschreiben in ihrem großartigen Buch “New Work Men”, wie die Verhaltensmuster traditioneller Männlichkeit (Gewinnen, emotionale Kontrolle, Risikobereitschaft, Gewaltbereitschaft, Macht über Frauen, Dominanz, Lebemann (“Playboy”), Eigenständigkeit, Arbeit an erster Stelle, Verachtung von Homosexualität und das Streben nach Status) einer neuen und - meiner Ansicht nach - erfolgreichen Arbeitswelt im Weg stehen. So sind “sich durchsetzen oder Fehlervermeidung im Sinne eines Impression Management hingegen Verhaltensweisen, die mit traditionellen Männlichkeitskomzeptionen verbunden werden - und damit negativ auf die kollektive Intelligenz wirken.” (New Work Men, Jacomo Fritzsche & Daniel Pauw, Vahlen Verlag, 2024, S.42 & 74)
Und wie erklären wir uns das?
Es liegt nicht daran, dass Frauen ihres biologischen Geschlechts wegen besser zuhören, Gefühle wahrnehmen, Gruppen moderieren, den Redeanteil im Sinne des Gruppenziels steuern können. Nein. Sowohl Fritzsche und Pauw, als auch die Autor*innen der genannten Studien sagen, dass der Grund die kulturellen und sozialen Konditionierungen der Geschlechterrollen sind.
Zurück zu den fehlenden Fachkräften:
Auch “die Familienministerin Lisa Paus von den Grünen erklärte: “Würde man alle Frauen mit Kindern unter sechs Jahren so viele Stunden im Job arbeiten lassen, wie sie gern würden, dann hätten wir [...] mit einem Schlag 840.000 Arbeitskräfte mehr!”
Sie brauchen nur eben die Möglichkeit, das zu tun. Also: Je besser die Betreuung der Kinder, desto größer der Effekt im Kampf um die besten Fachkräfte.”
Wir schlussfolgern also: Frauen und ethnisch andere und migrantische und auch nicht-männliche Personen einzustellen, ist sehr sinnvoll. Und je höher der Anteil von diesen Gruppen in Entscheidungspositionen und in Teams, desto funktionaler, intelligenter und erfolgreicher sind die Teams und damit die Unternehmen.
Personalentwicklung
Karrierewege von Anfang an Aufzeigen
Weiterbildungen anbieten
Sparringspartner zur Seite stellen. Z.B. Coaches, Mentoren, Buddy-Programme
Flexible Arbeitsmodelle
Homeoffice
Mobiles Arbeiten
Teilzeitmöglichkeit für Frauen UND Männer / Mütter UND Väter / BEIDE Elternteile / ALLE Geschlechter gleichermaßen → Vereinbarkeit von Job UND Familie
JobSharing
Arbeitszeitsenkung
viele weitere, branchenspezifische, Möglichkeiten
Auch hierzu gibt es Studien, wie zum Beispiel bereits 2007 von der Hans Böckler Stiftung, die das belegen: “Europäische Länder mit kurzen Arbeitszeiten haben eine hohe Arbeitsproduktivität - und umgekehrt.” Ja, natürlich ist das unter Betrachtung der jeweiligen Branche und der Tätigkeit zu betrachten. Dennoch sprechen die Zahlen für sich.
Und das Thema Teilzeit? Nicht alle Elternteile können Vollzeit arbeiten. Richtig. Und die These, dass vor allem Mütter öfter wegen ihrer Kinder fehlen oder unproduktiver sind, hält sich. Aber diese These ist falsch!
Viele Teilzeitangebote richten sich aktuell an Frauen bzw. Mütter, damit diese sich zu Hause dann auf den Haushalt, die Kinder konzentrieren können. Da aber Frauen für bessere Teams und erfolgreichere Unternehmen in genau diesen gebraucht werden, sollte es ebenso Teilzeit-Angebote für ALLE geben. Also auch für Männer bzw. die Väter. Und diese Angebote sollten attraktiv gemacht und beworben werden und nicht als theoretische Möglichkeit in einer Betriebsvereinbarungsklausel verkümmern.
Eine Studie der Universitäten Konstanz, Zürich und des Forschungsinstituts der Zukunft der Arbeit in Bonn hat ergeben, dass zum Beispiel Wissenschaftlerinnen mit Kindern nach der Elternzeit über ein besseres Zeitmanagement als andere Mitarbeiter*innen verfügten. Und besseres Zeitmanagement heißt in der Regel eine gesteigerte Effizienz. Und mit zwei Kindern waren die Mütter sogar noch produktiver! Und als ob das nicht reicht, melden sich Eltern über 40 laut der Studie seltener krank als jüngere kinderlose Kolleg*innen.
Mütter, und Eltern über 40, sind damit als produktiver und effizienter anzusehen.
Unternehmensebene
Betriebliches Gesundheitsmanagement
transparente Gehälter sowie gleiche Bezahlung bei gleicher Stellung/Arbeit
eine Unternehmenskultur schaffen
Unternehmenskultur ist kein Luxus
Unternehmenskultur klingt erst mal nach einem Luxusproblem. Aber nein, denn eine Unternehmenskultur sorgt dafür, dass die Mitarbeitenden gerne zur Arbeit kommen. Ja, auch neben der Tatsache, dass die Tätigkeit selbst Spaß macht. Und wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der der Spaß an der Sache selbst der einzige und entscheidende Faktor ist.
Was ist eine Unternehmenskultur genau? “Unternehmenskultur bezeichnet die Gesamtheit der für ein Unternehmen charakteristischen Wertmuster, Verhaltensweisen und Grundprinzipien. Sie spiegelt das Selbstverständnis der Mitglieder einer Organisation wider und ist sowohl für Mitarbeitende als auch für externe Stakeholder wie Kunden, Lieferanten und die Öffentlichkeit erkennbar.”
In anderen Worten: Eine Art Kodex, für welche Werte das Unternehmen steht und wie sowohl im Unternehmen als auch nach Extern miteinander umgegangen werden soll.
Die Vorteile sind einfach zusammengefasst:
Unternehmenskultur = Mitarbeitende kommen gerne zur Arbeit
Unternehmenskultur = Mitarbeitende haben ein Gefühl der Zugehörigkeit -> sie bleiben gerne auch etwas länger (Überstundenbereitschaft)
Unternehmenskultur = Mitarbeitende können sich mit dem Unternehmen identifizieren -> sie stehen voll und ganz hinter dem Unternehmen und sprechen auch im Privaten gerne von ihrer Arbeit -> das ist kostenfreie Werbung
Unternehmenskultur = Mitarbeitende fühlen sich mit dem Unternehmen verbunden und wechseln seltener den Arbeitgeber
Noch kurz zum Thema Mitarbeitenden-Bindung. Also die Fluktuation zu verhindern oder zumindest sie so gering wie möglich zu halten:
Und ich komme, so wollen es die Daten, wieder zu Frauen. Denn wenn Mütter oder junge Frauen an die sogenannte gläserne Decke oder andere Jobdiskriminierungsarten stoßen, werden sie entweder weniger produktiv, weil zurecht unzufrieden oder kündigen irgendwann. Entweder führt das zu einer geringeren Effizienz und Mitarbeiter*innenmotivation und damit zu einem negativen Einfluss auf die Unternehmenskultur und damit wiederum auf die anderen Kolleg*innen, oder die Kündigung führt zu einer erhöhten Fluktuation, die wiederum zu Kosten in Höhe von (und hier schwanken die Zahlen) im Mittel ca. einem Drittel des Jahresgehalt führt.
Gesellschaftliche Ebene
Vereinbarkeit von Familie und Beruf -> Kinderbetreuung anbieten (Eigene oder Partner-Kita)
interne Sensibilitäts-Weiterbildungen für Nicht-Diskriminierte
Klar, nicht jedes Unternehmen kann sich eine eigene Kita leisten. Wie auch. Aber es gibt andere Möglichkeiten, wie zum Beispiel mit regionalen Anbietern zu kooperieren. Und warum? Ganz einfach: Damit sowohl Mütter als auch Väter parallel arbeiten können. Die Vorteile vor allem von arbeitenden Müttern und Frauen sind bereits weiter oben ausgeführt.
Abschlussstatement
Viele der hier aufgeführten Fakten haben bereits andere Köpfe herausgearbeitet, zusammengefasst und publiziert.
Alexandra Zykunov hat hier absolut grandiose Arbeit mit ihren beiden Büchern geleistet. Das zuletzt erschienene: “Was wollt ihr denn noch alles?” hat mir sehr viel Input für diesen kurzen Überblick gegeben. Viele ihrer bereits recherchierten Quellen konnte ich übernehmen. Mir ist bewusst, dass ich das, was sie in ihrem Buch schreibt, jetzt nochmal umformuliert wiederhole, Fachbegriff “Hepeating”. Wenn das aber dazu führt, dass es noch mehr Menschen und gerade Männer lesen und eine Veränderung herbeiführen, nehme ich das in Kauf. Trotzdem und gerade deswegen: Kauft ihre Bücher! Sie sind grandios!
Zusätzlich haben Jacomo Fritzsche und Daniel Pauw mit ihrem Buch “New Work Men” ebenfalls ein großartiges Werk über den Zusammenhang traditionell männlicher Verhaltensmuster und der aktuellen Arbeitswelt sowie die Chancen einer andersartigen und neuen Arbeitswelt geschaffen. Kauft auch dieses Buch!
Zitate, Quellen, Fußnoten
A. Zykunov, “Was wollt ihr denn noch alles?” Ullstein Verlag
https://www.mckinsey.com/featured-insights/diversity-and-inclusion/diversity-wins-how-inclusion-matters Zugriff am 23.01.2025
Credit Suisse: The CS Gender 3000 in 2021Credit Suissehttps://www.credit-suisse.com › … Zugriff am 23.01.2025
Malone, T. W., & Bernstein, M.S. (Hrsg), Handbook of Collective Intelligence. Cambridge, MIT Press, 2015
New Work Men, Jacomo Fritzsche & Daniel Pauw, Vahlen Verlag, 2024
https://www.researchgate.net/publication/230800994_Development_of_the_Conformity_to_Masculine_Norms_Inventory (27.01.2025)
https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-kurze-arbeitszeit-hohe-produktivitaet-9979.htm, Zugriff am 23.01.2025
https://www.akademie-management.de/glossar/unternehmenskultur/ Zugriff am 23.01.2025
Als Gläserne Decke (engl. glass ceiling) wird eine nicht sichtbare Barriere bezeichnet, mit der Frauen aufgrund von strukturellen und ideologischen Ursachen im Karriereverlauf trotz hoher Qualifikation häufig dann konfrontiert sind, wenn sie in das obere Management aufsteigen wollen, während männlichen Kollegen mit vergleichbarer Qualifikation dieser Aufstieg in der Regel ,gelingt‘. (https://www.uni-paderborn.de/gleichstellung/genderportal/gender-glossar/glaeserne-decke Zugriff am 23.01.2025)
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